Jobwechsel – fehlt Ihnen auch die richtige Qualifikation?


Sie kennen das, Sie bewerben sich auf einen spannenden Job, den Sie eigentlich schon immer interessant fanden und bekommen nach einiger Zeit eine Absage – wegen fehlender Qualifikation.


In diesem Beitrag wende ich mich sowohl an Bewerber, als auch an Personaler, Recruiter und Headhunter und möchte ein paar Gedanken zum Thema Qualifikation weitergeben.

„Wer schlechte Noten hat, kann nicht besser sein, als der, der gute Noten hat.“

Die Qualifikations-Illusion

Als ich Ende der 90er Jahre ein Praktikum bei einem PC-Spezialisten machte, zeigte der Chef uns Mitarbeitern eines Tages zwei Bewerbungen. Beide Bewerbungen hatten ihn sehr beeindruckt. Der eine Bewerber hatte einen Notendurchschnitt von 1,7 und der andere von 1,4. Im Bewerbungsschreiben verriet der “schlechtere“ Kandidat, dass er zusätzlich eine bestimmte Programmiersprache gut beherrschen würde, was dem damaligen Chef gut gefiel. Diese Sprache war nicht unbedingt für den Alltag wichtig, aber man hätte damit den Chef sehr beeindruckt – denn das war er. Ich glaube, es handelte sich um die Sprache Turbo Pascal.

Als der Chef uns fragte, für wen wir uns entscheiden würden, war unsere Empfehlung ganz klar für den Bewerber mit dem Notendurchschnitt von 1,7.

Was jetzt folgte, verstand ich nicht, passierte in Variationen aber mein gesamtes Berufsleben, jedesmal, wenn es um die Auswahl von Bewerbern ging. Denn der Chef sagte mehr oder weniger folgendes:

“Ich entscheide mich für den Kandidaten mit dem besseren Notendurchschnitt – denn der schlechtere Kandidat kann die Programmiersprache gar nicht können, weil er schlechter in der Schule war.“

Wenige Monate nach meinem Praktikum besuchte ich denselben Chef wieder und er heulte mir vor, wie schlecht der “bessere“ Bewerber sei, langsam und faul wäre er. Die Option auf den “schlechteren“ Bewerber liess er dennoch nicht gelten, da der andere eben “noch schlechter“ abgeschnitten hätte, davon war er fest überzeugt. Im übrigen würde er jetzt nur noch Abiturienten einstellen, da Realschüler nicht die nötige Qualifikation mitbrächten. Ausserdem sei ich noch zu jung, um so etwas zu verstehen.

Wann ist jemand qualifiziert?

Naja, würde jetzt ein HR-Experte antworten, die Sache ist eigentlich völlig klar. Qualifiziert ist jemand, der einen Abschluss in einem Fach hat.

Gelernt und wieder vergessen – Ein Beispiel:

Anfang der 2000er Jahre hat ein guter Freund von mir Informatik studiert und sein Studium fast komplett rumgegammelt. Kurz vor der Prüfung fing er dann an exzessiv zu lernen, bis er schliesslich die Prüfung absolvierte – mit einer sehr guten Note.

Nach zwei Wochen sassen wir im Kino und er fing laut an zu lachen, als er uns sagte, dass er alles, was er gelernt hat, wieder vergessen hatte. Würde er heute dieselbe Prüfung nochmal wiederholen, würde er krachend durchfallen. Er wüsste wirklich nichts mehr, was er vorher gelernt hätte.

Und jetzt stellen Sie sich vor, Sie sind der Personaler, der ihn einstellen würde. Würden Sie ihn mit diesem Wissen problemlos einstellen? Sicher nicht. Sie hätten Angst, dass dieser junge Mann Ihnen die IT zerstört.

Was sagen Noten und Zeugnisse eigentlich aus

Diese zwei oberen Beispiele zeigen mir zwei Dinge.

  • Abschlüsse sind nur bedingt aussagekräftig
  • Noten sind eine Momentaufnahme

Ich kann es mir als Personaler natürlich sehr leicht machen und nur auf Abschlüsse und Noten schielen. Nach diesem Prinzip wird häufig auch ausgefiltert. Die daraus gewonnene “beste“ Personalie wird dann entweder eingeladen, oder direkt eingestellt.

Wenn Sie als Bewerber diese Zeilen lesen, können Sie gut und gern davon ausgehen, dass in gefühlt 99% aller Fälle genau so rekrutiert wird. Aus eigener Erfahrung wird bei mindestens 9 von 10 Kandidaten genau so rekrutiert. Im Marketingbereich ist es sogar noch schlimmer, da entscheidet man häufig nur nach Empfehlungen.

Ein Bewerber mit Top-Abschlüssen und Noten kann im Arbeitsleben trotzdem eine Niete sein

Beste Abschlüsse mit besten Noten – wo ist das Problem?

Mal vom öffentlichen Dienst abgesehen, wenn Sie ein produzierender Betrieb sind, stellen Sie keine Maschinen, sondern Menschen ein. Menschen mit Persönlichkeit, Erfahrungen und Kreativität. Und genau hier beginnt das Problem.
Selbst mit besten Abschlüssen können Sie ein unhöflicher, unkooperativer, unkreativer, unsozialer Mensch sein.

In meiner beruflichen Erfahrung haben in der Vergangenheit mehrere Chefs durch “Empfehlungen von aussen“ mehrfach gewaltig daneben gelegen. Oder sich durch Top-Zeugnisse schön auf die Nase gelegt. Ich hatte einmal einen Vorgesetzten im Marketing, der keine Ahnung von dem Thema hatte. Warum er diesen Job bekam, ist mir bis heute schleierhaft. Allerdings weiß ich, dass jeder andere, der auch nur einen Hauch qualifizierter gewesen wäre, im Getriebe des Recruitings des Arbeitgebers knallhart durchgerasselt wäre. Man maß dort eben nach zweierlei Maß.

Schnelligkeit, Kreativität und soziale Empathie kann man nicht in Noten abbilden.

Noten und Abschlüsse sind wichtig, aber nicht alles

Wäre es nicht schön, wenn das Leben so einfach wäre und die Bewerber mit guten Noten und super Abschlüssen auch die besseren Performer im Job wären? Leider ist es oft aber nicht der Fall, weshalb der einfachst gangbare Weg leider oft nicht der beste ist.

Denn, ich finde schon, dass es einen Unterschied macht, ob jemand die Lösung nach einem Tag, einer Woche oder einer Stunde findet. Ich finde auch, dass es wichtig ist zu wissen, wie Lernwillig oder Lernfähig jemand ist. Ob jemand Kooperativ und Kommunikativ ist. Ob jemand ein Eigenbrötler im Job ist oder ein Teamplayer. Es gibt Aufgaben, die keinen Teamplayer benötigen, andere, die das dringend voraussetzen. In Zeugnissen lässt sich das aber nicht immer gleich gut abbilden.

Genauso kann das Arbeitstempo eher weniger gut abgebildet werden. Sie sehen, manches ist nicht so leicht herauszufinden. Gerade hier aber trennt sich oft die Spreu vom Weizen. Gerade hier ist es oft sehr wichtig zu wissen, wen man sich als Personaler in den Betrieb holt.
Natürlich kann ich innerhalb weniger Zeit alles in mich „hineinlernen“. Aber habe ich es dann auch so gut verstanden, dass ich es auch anwenden kann, oder sogar weiter geben könnte?

Tipps für Arbeitgeber

Die passende Personalie zu finden ist nicht leicht – zugegeben. Leider habe ich es sehr oft erlebt, dass seitens des Arbeitgebers zu wenig Mühe und Zeit in diese wichtige Phase investiert wird.

  • Planen Sie möglichst langfristig
  • Legen Sie wert auf Eigenschaften wie Charakter und Persönlichkeit – ein toller Abschluss ist super, aber ein schlechter Charakter zerstört Ihr Team – wenns noch schlechter läuft, Ihren Ruf
  • Nehmen Sie alle beteiligten Abteilungen von Anfang an mit ins Boot
  • Rekrutieren Sie transparent

Tipps für Jobsuchende

Die gute Nachricht zuerst, es gibt sie, die netten, freundlichen und fairen Arbeitgeber. Nun aber zur schlechten – sie sind selten, sehr selten. Leider. Aber mit diesen Tipps sparen Sie sich viel Zeit indem Sie schlechte Arbeitgeber besser erkennen.

  • Studieren Sie die Ausschreibung genau
  • Wenn Ihnen etwas seltsam vorkommt, fragen Sie nach – haben Sie den Eindruck, dass Sie nerven – Finger weg.
  • Fragen Sie bei Qualifikationsangaben, wie wichtig diese sind.
  • Fragen Sie nach, wie bei Mitbewerbern mit höherer Qualifikation ausgewählt wird

Hier sind Sie leider auf die Ehrlichkeit des Arbeitgebers angewiesen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass meistens gelogen wird seitens der Arbeitgeber. Man möchte seinen Kolleginnen und Kollegen zeigen, wie beliebt man ist und deshalb wird jede Bewerbung dankend entgegen genommen, damit man sie als Trophäe rumreichen kann. Dass das auf Kosten der Bewerber passiert, interessiert die meisten eher weniger. Frei nach dem Motto: “Wenn Du suchst, hast Du sicher in deinem Ex-Job irgendwas verbockt“. Wird vor dem Vorstellungsgespräch noch behauptet, dass Qualifikationen eher zweitrangig sind, haut einem ein Arbeitgeber häufig genau das im Gespräch um die Ohren. Dann empfehle ich Ihnen schnellstens das Weite zu suchen.

Veröffentlicht von

Steffen

Hallo, ich bin Steffen Ostin, ich habe Kommunikationsdesign studiert und arbeite im Bereich Online, Marketing und Digitalisierung seit 2008.